So beginnen Märchen. Da die meisten Journalisten, übrigens völlig zu Unrecht, mitunter den Ruf haben, den Gebrüdern Grimm nahe zu stehen, will ich versuchen, dem geneigten Leser auch kein solches aufzutischen. Lange ist es her, dass ich erstmals die Eisbären besuchte – inzwischen fast 18 Jahre! Kinder, wie die Zeit vergeht. Ich gebe zu, dass es sehr lange dauerte, bis mein Dynamo auch Hochtouren lief. Geht ja vielen so – beim „ersten Mal“.
Ich bin in West-Berlin aufgewachsen, so auch – als absoluter Sport-Fan – mit dem Berliner Schlittschuh-Club beziehungsweise dem BSC Preussen. Nicht verwerflich, denke ich. Eher historisch bedingt. Und so begab es sich, dass mein „erstes Mal“ im Sportforum der Besuch eines Berliner Derbys war. Man schrieb den 21.09.1990, als ich mich mit ein paar Freunden meines Fußball-Vereins Teutonia Spandau (momentan der erfolgreichste Fußball-Verein Berlins!) auf in den „wilden Osten“ machte – zu einem Stadtduell, das in die Annalen eingehen sollte – und trotzdem nicht die besten Erinnerungen bei mir hervorruft. Mit 0:12 ging der EHC Dynamo im Wellblechpalast unter. Wir „Wessis“ waren in einen Block unter Polizeischutz zusammengepfercht, weil der Umgang der beiden Fanlager nicht unbedingt der euphorischen Wendezeit entsprach. Was sich schon dadurch bemerkbar machte, dass wir den Block aus Sicherheitsgründen noch lange nach dem Spiel nicht verlassen durften, allein schon die Westkennzeichen unserer Autos vor dem Stadion für Aggression sorgten.
Fast klar, dass mein Eishockey-Herz zu diesem Zeitpunkt noch nicht von einem Dynamo betrieben wurde…
Doch das sollte sich ändern. Zwei Jahre später kam ich beruflich das erste Mal mit den Eisbären in Berührung. Noch für die „BZ“ schrieb ich eine Story über die Baseball-Leidenschaft des sicherlich noch vielen bekannten aus Mannheim stammenden Nationalspielers namens Peter Schiller. In einer Zeit, in der ich übrigens auch den ehemaligen Eisbären-, und heutigen Anschutz-Pressesprecher Moritz Hillebrand als Baseballspieler kennenlernte. „Mo“ hätte sich damals sicherlich auch nicht träumen lassen, dass er heute in unzähligen täglichen Telefonaten (etwas genervt) den unstillbaren Wissensdurst eines Reporters stillen muss. Egal, zurück zur „heißkalten Bärenleidenschaft“, die sich langsam entwickelte. Ein Jahr später, inzwischen beim KURIER tätig, bekam ich redaktionell die Eisbären übertragen. Was mich anfangs gar nicht so freute. Doch mit der Zeit entwickelte ich eine Beziehung zu diesem Verein, der mit aller Macht versuchte, das Abenteuer Bundesliga zu bewältigen. Erst jetzt, da ich hinter die Kulissen schauen durfte, wurden mir die vielen Unwägbarkeiten und Probleme des Underdogs bewusst. Mein vernebeltes Westauge fing an, realistisch durchzusehen, Berührungsängste – auch bei den Fans – wurden abgebaut. Schließlich hatten viele von ihnen umgekehrt die Ostbrille auf. Man lernte sich nicht als Wessi oder Ossi, sondern als Mensch kennen.
In den folgenden Jahren begleitete ich einen Verein, der im Begriff war, seine Tradition zu verlieren, weil er seine DDR-Vergangenheit als Ballast abwerfen wollte. Nicht zuletzt, um mehr Sponsoren zu bekommen, wurde ja letztlich der EHC Dynamo in Eisbären umgetauft.
Wichtig, um meine Einstellung gegenüber den Bären zu ändern, waren, wie gesagt, aber vor allem die persönlichen Beziehungen, die man zu Spielern und Verantwortlichen aufbaute. Mit vielen Stars der damaligen Zeit entwickelten sich Beziehungen – und Freundschaften – die bis zum heutigen Tage andauern. Und wenn man täglich mit einem Verein zu tun hat, erwischt man sich plötzlich dabei, auch ein Herz für selbigen zu haben. Vor allem, wenn man selbst als Reporter (beispielsweise in den legendären Play-downs gegen Schwenningen) vom gegnerischen, oft politisch dilettantischen Anhang, wüst beschimpft wurde. Wie sagte Leidensgenosse „Komissarov“, selbst im Westen groß geworden, einst in meiner Bären-Reportage im KURIER: „Da wird man als Wessi zwangsläufig zum Ossi.“ Obwohl ich diesbezüglich anfügen muss, dass es für mich kein Ost oder West mehr gibt – irgendwie hat er mit dieser Aussage doch Recht. Ignoranz, vor allem fehlende Toleranz gegenüber anderen führt eben zu solchen (gefährlichen) Verhaltensweisen.
Trotz aller Neutralität, die man als Journalist wahren sollte, erwischte ich mich beim Torjubel, als die Bären durch Andrej Lomakin am 10.11. 1995 mit 4:3 in der Jafféhalle gegen die Preussen Devils gewannen. Ich rieb mir – selbst verwundert über meine Gefühlsausbruch – die Augen. Vor allem aber die direkt neben mit sitzenden Kollegen. Nicht umsonst wurde ich bei den Preussen scherzhaft immer als „Eisbär“ hochgenommen. Wie man sieht, in einem Jahrzehnt kann viel passieren. Wenn man sich als Mensch respektiert, relativieren sich auch meine Erlebnisse aus den Nachwendezeiten als ein kleiner Tropfen im großen Meer der Vergangenheit…
Ronald Toplak ist Redakteur beim Berliner Kurier, ständiger Leser von www.welli-berlin.de und vielleicht bald auch stolzer Träger eines Basecaps aus der 4695-Kollektion.
Ab 2002 erschien in der Stadionzeitung “Eisbären live” eine Reihe von persönlichen Berichten unter dem Motto “Mein erstes Mal“. Da diese Berichte von unterschiedlichsten Personen aus dem Dunstkreis des Welli einen guten Einblick in die Geschichte des Welli geben, freuen wir uns, dass wir diese Reihe hier erneut veröffentlichen dürfen. Unser Dank gilt dafür Daniel Goldstein von der Öffentlichkeitsarbeit der Eisbären Berlin Management GmbH.
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